Wie du dich auf die Langstrecke vorbereitest

"Warum tust du dir das an? Warum musst du mehr als 150 km mit dem Rennrad fahren?"
Das werde ich so manches Mal gefragt. Vielleicht, weil ich mir etwas beweisen muss? Nein, weil ich es möchte. Es geht um das Körpergefühl und die eigenen Grenzen und darum sich selbst besser kennen zu lernen. Aber wie bereitet man sich, bereitest du dich, auf das Langstreckenfahren vor?

Die Gedanken lassen mich nicht los. Langstrecke. Mich auf den Renner setzen und weit, sehr weit fahren. Das ist es, was ich tun möchte. Aber was bedeutet weit?

60 km? Weiter!
80 km? Viel weiter!
100 km? Noch weiter!
140 km? Nein, weiter!

All diese Strecken habe ich bereits zurückgelegt. Und nun? Was kommt nun? Diese spezielle Idee hatte ich bereits im Winter, als es noch kalt und ungemütlich war.

Mit dem Rad nach Hamburg. 175 km von meiner Haustür bis HH Hauptbahnhof und am besten im Sommer.

In etwas mehr als zwei Wochen soll es nun losgehen. Am ersten Tag nach der kürzesten Nacht des Jahres. Sommeranfang.

Was ist der Reiz am Langstreckenfahren?

Warum tue ich mir das also an? Warum tun sich all die Randonneure das an?

Radfahrer, die enorme Strecken mit dem Rad zurücklegen gibt es viele. Und wenn man sich die Strecken anschaut, die bei Brevets (ab 200 km) oder etwas Paris-Brest-Paris (1200 km in max. 96 Stunden) am Stück zurückgelegt werden, dann sind 175 km keine große Sache.

Für mich ist es das aber sehr wohl. So weit bin ich noch nie gefahren. Und als wäre das noch nicht genug, ist die Strecke One-Way. Ich fahre nicht um einen bestimmten Ort herum, sodass ich jederzeit abbrechen kann, falls ich mich nicht mehr fühle oder keine Lust mehr habe. Nein! Immer geradeaus. Bis nach Hamburg. Hoffentlich. Und somit ist jeder Kilometer dieser Strecke, ein Kilometer weiter vom sicheren Hafen entfernt. In Soltau ist dann Bergfest. Ab hier liegt Hamburg näher als das Zuhause. Kein doppleter Boden.

Langstrecken so attraktiv, weil man viel Zeit mit sich, dem eigenen Körper und der Natur verbringt, Orte sieht, die man entweder gar nicht oder nur aus dem Auto heraus kennt, und weil es eine Herausforderung ist. Immer wieder aufs Neue. Jede Tour ist eine Herausforderung, denn jede Tour ist anders. OK, das gilt auch für kürzere Touren aber es geht ja auch darum die eigenen Grenzen kennen zu lernen und das bedeutet weit und lange.

Wie fährt man weit und lange mit dem (Renn-)Rad

Mit moderatem Tempo und regelmäßigen Pausen ist man für eine Strecke von 175 km - also genau diese Strecke nach Hamburg - etwa 10 Stunden unterwegs, inkl. Pausen. Aber das ist natürlich höchst individuell. Radsportler die schon seit Jahren auf der Langstrecke unterwegs sind, legen diese Distanz auch mal unter sechs Stunden oder noch schneller zurück.

Aber es geht nicht um Tempo, jedenfalls nicht für mich. Es geht darum, die eigenen Grenzen zu testen, anzukommen und möglichst viel über mich und meinen Körper zu lernen. Es geht darum, mich an die längeren Touren heranzutasten, immer ein wenig weiter, immer ein wenig länger, bis am Ende die 200 km fallen. Das ist das Ziel für dieses Jahr, 2023. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber für mich ist das ein reizvolles Ziel: 200 km oder mehr an einem Tag.

Bei meiner bisher längsten Tour - in 6:30 Fahrzeit (netto, ohne Pausen) über 140 km um meinen Heimatort herum - ging es darum, genau diese Erfahrungen zu sammeln.

  1. Wie fühlt es sich an, so lange unterwegs zu sein?
  2. Wie viel Verpflegung benötige ich?
  3. Woher bekomme ich Nachschub an Getränken, denn ich kann ja nicht alles mitschleppen und was und wie viel muss ich essen?
  4. Wie viel Pausen brauche ich?
  5. Welches Tempo ist das richtige?
  6. Ist mein Renner nach all der Bastelei so auf mich angepasst, dass ich auch diese Distanz bequem fahren kann?
  7. Und nicht zuletzt, macht der Körper (die Knie, die Muskulatur, der Po, ...) das mit?

Die Antworten auf diese Fragen bekommst du nur auf eine Weise. Indem du sie erfährt. Du musst fahren, ausprobieren und auf deinen Körper hören.

Wie bereitest du dich auf die Langstrecke vor?

Ich komme aus einer Situation, in der ich lieber vor dem Fernseher saß (oder lag) und dazu dem ein oder anderen Snack nicht abgeneigt war. Regelmäßig. Jeden Tag. Bis noch in den Dezember 2022 hinein. Einfach aus Gewohnheit. Über Jahre habe ich mich nicht um meine Fitness gekümmert. Selbst einfache Dinge fielen mir mit der Zeit schwer.

Aus dieser Situation und von der Couch aus nach Hamburg (oder jeden anderen Ort jenseits der 100 km-Marke) ist es ein langer und ein weiter Weg. Nicht nur, weil es an sich schon eine lange Strecke für einen Radfahrer ist, sondern weil die Couch Potato Vorbereitung benötigt. Viele Stunden im Sattel, viele, viele Kilometer.

Wie geht das genau?

Ein Ansatz ist, und der hat für mich bisher gut funktioniert, mit kurzen Strecken zu beginnen. Damit der Körper neue Reize bekommt, sich auf die Anforderungen einstellen kann und du erfährst, wie dein Körper tickt, legst du regelmäßig ein paar Kilometer ober drauf. Die Touren werden Stück für Stück immer länger.

Ein Beispiel ...

Wenn du heute in der Lage bist, gut und ohne Schwierigkeiten 40 km mit dem Rad zu fahren, dann versuche dich bei der nächsten Tour an 45 km. Wenn du nun jede Woche 5 km drauf packst (je nach Zeit und Lust kannst du auch mehrere Touren in der Woche fahren), dann wirst du in drei Monaten die 100 km knacken. Das klingt doch gut, oder?

Vergiss aber bitte nicht. Langsam ist das neue schnell. Überfordere deinen Körper nicht, gib ihm Zeit sich an die längeren Strecken zu gewöhnen. Regeneration gehört ebenso zur Vorbereitung wie das Training selbst. Es ist nicht sinnvoll bei jeder Tour weitere Kilometer oben drauf zu legen. So bist du zwar schnell bei größeren Distanzen aber Muskeln, Sehen, Herz, dein Po ... all das braucht Zeit, um sich zu entwickeln und an die steigenden Anforderungen anzupassen.

Und es gibt ein weiteres Problem. Je länger die Strecken werden, desto mehr Zeit benötigst du. Für 80 km bei moderatem Tempo brauchst du gut und gern vier Stunden. Bei 100 km bist du dann bereits fünf Stunden unterwegs. Und wenn du an mehreren Tagen in der Woche auf dem Rad sitzt, kommen schnell zweistellige Stundenzahlen zusammen. Vor allem in der dunklen Jahreszeit ist nicht viel Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, um ausgedehnte Touren zu fahren, wenn du voraussetzt, dass du nicht im Dunkel und zu der damit verbundenen Kälte unterwegs sein möchtest.

Wo bekommst du die ganze Zeit her?

Verstehe mich nicht falsch. Die Langstrecke ist mein Ziel, weil ich daran interessiert bin, mich selbst und meinen Körper besser kennen zu lernen und weil ich es mag, Herausforderungen zu bestehen. Radfahren ist aber nicht nur Langstrecke.

Für die allgemeine Fitness ist es vor allem ratsam, in Bewegung zu bleiben. Auch kürzere Strecken haben ihren Reiz.

Aus diesem Grund fahre ich nicht nur die langen Touren, sondern auch viele kleine. 20-30 km zum Beispiel in Form von Pendeln (mit dem Rad zur Arbeit) oder die Stunde morgens vor der Arbeit an vier bis fünf Tagen in der Woche. So integriere ich den Arbeitsweg in meine Vorbereitung, ohne dass es viel zusätzliche Zeit kostet.

Dem Ziel, Langstrecke zu fahren, ist das aber nicht dienlich. Es fehlen die Reize. Weit zu fahren, heißt, lange zu fahren. Und wenn du noch nie Lange gefahren bist, dann wirst du auch nicht so einfach weit fahren.

Deshalb versuche ich inzwischen die langen Touren regelmäßig zu fahren, jede Woche eine Tour um die 80 km. Mal mehr, mal weniger. Darüber hinaus kommt mind. einmal pro Monat eine Runde hinzu, die länger ist als 100 km. Das sind dann neben den ganzen kleinen Ausfahrten noch immer 4-6 Stunden pro Woche zusätzliche Zeit, aber ohne Training wird es auch mit der Langstrecke nichts.

Mit diesen 5 Tipps schaffst du deine erste Langstrecke (150 km+)

Du hast trainiert und fühlst dich gerüstet für deine erste Langstrecke?

Mit diesen fünf Tipps, bereitest du dich gezielt auf deinen großen Tag vor. Ich gehe bei diesen Tipps davon aus, dass du die Grundlagen bereits gelegt hast und zumindest Touren um die 80 km und mehr schon ein paar Mal gefahren bist, besser noch 100 km. Falls nicht, taste dich an diese Marke heran, bevor die erste große Tour auf dem Plan steht.

Diese Tipps helfen dir aber auch dann, wenn du nicht oder noch nicht auf die Langstrecke gehen möchtest.

1. Fahre soviel wie möglich

Je länger deine Touren werden, desto einfacher wird es dir fallen, immer noch ein (kleines) Stück weiterzufahren. Einfach noch einen kleinen Kringel hinten dran hängen, 2 km, 3 km, ... Im Gegensatz zu einem Sprung von 50 km auf 80 km oder von 80 km auf 120 km, fühlt sich das nicht nach sehr viel mehr an, aber du warst am Ende wieder etwas länger unterwegs. Die Zeit in Bewegung - die Trainingszeit - ist es, die die Fortschritte bringt. Je mehr Zeit du im Sattel verbringst, desto besser. Wichtig aber ist, dass du mit der richtigen Intensität trainierst.

2. Achte auf die Intensität

Langsam ist das neue Schnell. Das mag nicht sexy sein und angeben kann man damit auch nicht, aber es funktioniert. Trainiere bei niedriger Intensität, dafür aber über einen längeren Zeitraum. Es klingt paradox aber mit der Zeit kannst du bei gleicher Anstrengung (Herzfrequenz) immer schneller fahren, wenn du dein Training in einem bestimmten Herzfrequenzbereich absolvierst. Oder, und das ist für die Langstrecke wichtig, die Intensität bzw. deine Herzfrequenz sinkt, wenn du bei gleichem Tempo unterwegs bist. Als Anhaltspunkt nehme ich eine Herzfrequenz von 133 Schlägen pro Minute (180 Schläge - Alter = dein persönlicher HF-Wert, den du nicht überschreiten solltest). Steigt der Puls über diese Grenze, fahre langsamer. Angelehnt ist dies an die sogenannte Maffatone-Methode. Mehr dazu in einem späteren Post. Aber du kannst ja mal die Suchmaschine deines Vertrauen bemühen.

3. Übe, dich richtig zu verpflegen.

Es reicht nicht, zu wissen, was du während einer Tour zu dir nehmen solltest. Du musst es auch tun. Wenn du Durst bekommst (oder gar Kopfschmerzen) ist es bereits zu spät dafür, etwas zu trinken. Verspürst du Hunger, ist es bereits zu spät dafür, etwas zu essen. Trink und iss, bevor sich der Durst oder das Hungergefühl einstellen. Am besten regelmäßig kleinere Mengen. Für mich funktioniert es gut, in der Stunde etwa 500 ml zu trinken und alle 45 Minuten etwas Kleines zu essen. Alle paar Stunden nehme ich dann einen größeren Happen zu mir. Wichtig ist, dass du nicht dehydrierst - Kopfschmerzen sind ein eindeutiges Anzeichen dafür - oder du richtig Hunger bekommst. Bananen, Riegel, isotonische Getränke oder einfach Wasser mit Fruchtsaft, etwas Honig und einer Prise Salz funktionieren prima. In Summe achte ich darauf etwa 60g Kohlehydrate pro Stunde in fester und flüssiger Form zu mir zu nehmen. A

4. Sei geduldig und fahre langsam.

Die große Tour wird nicht auf den ersten Metern oder in den ersten Stunden entschieden. Verschieße dein Pulver nicht zu Beginn der Tour. Auch wenn es verlockend ist und du einen Tag erwischt an dem es einfach zu laufen scheint, wenn du überdrehst (z. B. dauerhaft zu hohe Herzfrequenz und/oder zu wenig isst und trinkst), fehlen dir gegen Ende die Körner. Dann helfen auch keine Cola, kein Energy-Drink oder ähnliches mehr. Stark zuckerhaltige Lebensmittel vor allem in flüssiger Form haben den Nachteil, dass nach einem kurzem Hoch der finale Einbruch kommt. Plötzlich bist du schlapper als vorher und es geht nichts mehr. Suche dir also dein Tempo, achte auf die Herzfrequenz und lass es locker rollen. 20 km pro Stunde? Toll. Das lässt sich gut rechnen und um eine halbe Stunde mehr oder weniger geht es bei deiner ersten Langstrecke auch nicht. Wenn du unbedingt eine Schippe drauf legen möchtest, dann tu dies, wenn du weißt, dass du die Strecke schafft, z. B. bei deiner nächsten Tour. Also, Geduld junger Padawan.

5. Mache ausreichend Pausen.

Niemand sagt dir, dass du bei einer derart langen Tour nicht von Rad steigen und eine Pause machen darfst. Regelmäßige Pausen sind sogar erwünscht. Denke daran, du fährst kein Rennen, auch nicht gegen dich selbst (siehe 4.). Ein Beispiel. Ich rechne mit einem Gesamtdurchschnitt von 20 km/h für meine Touren. Das bedeutet, dass ich für die 175 km acht Stunden und 45 Minuten brauchen. Brutto. Reine Fahrzeit. Fahre ich also netto mit einem Schnitt von 22 km/h kann ich alle vier Stunden 24 Minuten Pause machen, oder all zwei Stunden 12 Minuten, oder jede Stunde 6 Minuten. Mache Pausen, wann immer dir danach ist. Und wenn dir nicht danach ist, überwinde den inneren Schweinehund und vertritt dir ein paar Minuten die Beine. Sie werden es dir danken und dich viel besser über den Zielstrich tragen.

Zusatztipp

Höre auf deinen Körper, aber mach dir nicht zu viele Sorgen und Gedanken.

"Was ist, wenn ich das nicht schaffe und nach ein paar Stunden in der Pampa stehe und nicht weiß, wie ich wieder nach Hause kommen soll?" "Was ist, wenn ich einen Defekt habe, den ich nicht reparieren kann und nicht weiß, wie ich wieder nach Hause kommen soll?" Was ist, wenn ...""

Diese Fragen sind berechtigt und sie helfen dir, dich auch neben dem Training auf das große Ereignis vorzubereiten. Ist das Fahrrad in Ordnung? Habe ich an alles Gedacht? Habe ich Geld und genug Verpflegung dabei? Reserveschlauch? Flickzeug? Werkzeug? Telefon? ...

Aber diese Fragen tun noch etwas anderes. Sie lassen dich zweifeln. "Schaffe ich das? Was ist wenn ...?"

Natürlich schaffst du das. Du bist gut vorbereitet. Körperlich ebenso wie organisatorisch. Konzentrier dich auf den großen Tag und habe Spaß. Sei dir der Herausforderung bewusst aber lass dir nicht den Spaß von zu vielen Zweifeln oder Wenn und aber nehmen.

Meist treten all die Dinge und Katastrophen, die du dir vorher ausgemalt hast, gar nicht ein.

Also, rauf auf das Rad und ab nach ... Hamburg, Köln, München, Berlin, in den Harz, in das Weserbergland ... wonach auch immer dir der Sinn steht.

Lass mich wissen, welches dein nächstes Abenteuer mit und auf dem Rad ist z. B. auf Instagram (rennradelei).